Die Geschichte einer Mutter: Folter, Verlust und Widerstand in zwei Epochen des Iran!
Sie war 14, als sie ihr erstes Kind beerdigte: In ihren Zwanzigern beerdigte sie drei weitere – getötet nicht durch Krieg oder Krankheit, sondern von der Geheimpolizei des Schahs. Heute lebt die 96jährige Aziz Rezai in einem ruhigen Exil in den Außenbezirken von Paris, ihre Füße immer noch gezeichnet von den Narben der Folter, ihre Seele unter der Last fünf ermordeter Kinder – vier unter dem Schah, eines unter den Mullahs.
Zu einer Zeit, wo die Monarchie vor 1979 im westlichen Diskurs und in einer Nostalgie der Diaspora zunehmend romantisiert wird. bildet das Zeugnis von Rezai eine nachdrückliche Erinnerung an die brutale Schattenseite der Ära. Ihre Lebensgeschichte spannt sich über zwei Tyranneien, zwei Revolutionen und durch sie zieht sich der ungebrochene Wille einer Mutter, die sich geweigert hat, sich zu unterwerfen – selbst als sowohl die SAVAK des Schah als auch die Revolutionsgarden des Islamischen Republik im Namen der staatlichen Sicherheit ihre Familie zertrümmert hat.

Der Originalartikel „Decades of Resilience: One Woman’s Harrowing Tale of Torture Under the Shah Sheds Light on Iran’s Dark History” [Jahrzehnte des Durchhaltens: Die erschütternde Geschichte über Folter unter dem Schah wirft ein Licht auf die dunkle Geschichte des Iran] von Hollie McKay wurde ursprünglich auf hotair.com veröffentlicht.
- April 2025
Von Hollie McKay
PARIS, Frankreich – Fünfzig Jahr danach trägt die Aktivistin gegen das iranische Regime Aziz Rezai noch die Narben der Folter auf der Unterseite ihrer gebrechlichen Füße. Aber die Jahre der Misshandlungen und der politischen Gefangenschaft der jetzt 96jährigen waren nicht die unter der eisernen Hand der Mullahs, sondern die unter deren Vorgänger Mohammad Reza Schah Pahlevi und machen auf die Schattenseite einer iranischen Epoche aufmerksam, die oft als eine Geschichte der Bastion der Freiheit und des Fortschritts romantisiert wird.
Die Kinder Rezai werden von den Regimes des Schahs und der Mullahs getötet
„Der Iran war ein schönes Land – aber nur für die sehr Reichen, nicht für die Mehrheit der Iraner und das war die Vorgeschichte der Revolution“, erzählt Aziz in ihrer kleinen Wohnung an der Peripherie von Paris. „Es gab nur eine Partei – es durfte keine Opposition geben“.
Geboren 1929 als Zahra Norowzi in Teheran, heiratete Aziz – ein besser zu merkender Name, der „Lieb“ bedeutet – und gebar das erste ihrer neun Kinder im Alter von vierzehn, einen Sohn, der den Namen Hassan erhielt und kurz nach der Geburt einer Lungenentzündung erlag.
Das war aber nur der Anfang einer Tragödie, die danach kam.
Das Herzleiden ihrer Nation, so versichert Rezai, ging los in den früher 1950er Jahren mit dem vom Westen in die Wege geleiteten Sturz von Irans erstem demokratisch gewählten Premierminister Mohammad Mossadegh, der Irans Ölindustrie verstaatlichte. Dieser Akt führte auf Grund einer nationalistischen Politik und westlichen Befürchtungen eines Kommunismus im Jahr 1953 zu einem von CIA und MI6 unterstützten Putsch unter den jeweiligen Codenamen TRAJAX und Operation Stiefel, bei dem Mossadegh abgesetzt und der Schah als einziger Machthaber wieder eingerichtet wurde, womit er nicht mehr nur symbolische Führungsfigur blieb.
„Damals begann mein Sohn Achmed auf der High School sein Engagement in der (Oppositions-) Politik“, erinnert sich Aziz. „Von da an änderte sich unser Leben von Grund auf“.
In den Wirren der Folgejahre sollte Aziz insgesamt drei Söhne und zwei Töchter an die Repression der Regimes im Iran verlieren – vier unter dem Schah und ein Kind unter dem Ajatollah. Die Männer des Schahs töteten auch einen Schwiegersohn, ebenso die Mullahs.
Ihre Schuld? Die Zugehörigkeit zur Organisation der Volksmudschahedin des Iran (MEK), eine oppositionelle Formation, die sich 1965 gebildet hatte. Das vielleicht wichtigste Verbrechen in der Zeit des Schah war seine Schaffung der Geheimpolizei SAVAK (Sazeman-i Ettelaat va Amniyat-i Keshvar) [Vereinigung für Zusammenhalt und Sicherheit des Vaterlands], die er nach der Konsolidierung seiner Macht gebildet hatte. Diese robuste interne Sicherheitsmacht ging brutal gegen alle vor, die als Rebellen gegen formelle und informelle Regierungspolitik betrachtet wurden.
Nach Monaten der Folter und nach der Flucht aus dem Gefängnis wurde Aziz‘ Sohn Reza am 15. Juni 1973 bei einem Zusammenstoß auf der Straße mit der SAVAK getötet; ein anderer Sohn Achmed war 18 Monate zuvor unter ähnlichen Umständen ums Leben gekommen. 1975 wurde auch ihre Tochter Sedigheh von der SAVAK erschossen, als sie der Gefangenschaft zu entkommen suchte. Aziz gibt zu, dass es leichter war, sich mit dem Wissen abzufinden, dass ihre Kinder nie wieder ein Leben unter der Barbarei der Faust der SAVAK durchstehen mussten.
Wie viele aus der Opposition bezeugen können, war die Regentschaft des Schahs von 1963 bis 1979 im Iran von strengen Maßnahmen der Unterdrückung von politischen Abweichlern charakterisiert. Tausende von politischen Dissidenten wurden gefoltert oder hingerichtet und Reformen wie das Wahlrecht für Frauen schreckte traditionelle Muslime ab.
Dieses Klima der Angst erfasste sogar iranische Studenten im Ausland, das wurde von Amnesty International dokumentiert, als die SAVAK des Schahs eine erhebliche Zahl von Agenten aussandte, um geschätzte 30 000 Studenten in den Vereinigten Staaten auszuspionieren, ein Zeichen seiner Paranoia und des Ausmaßes der Kontrolle über jegliche potentielle Opposition. Amnestys Berichte deuten auch auf die unermessliche Folter unter den Händen der SAVAK – von Elektroschocks und kochendem Wasser, das in das Rektum gepumpt wurde, bis zu Vergewaltigung mit zerbrochenen Flaschen und dem Ausziehen von Nägeln und Zähnen.
Weitere Personen, die als politische Gefangene betrachtet wurden, wurden nach 1972 vor geheime Militärtribunale gestellt, wobei Schuld oder Unschuld allein durch Beweismittel bestimmt wurden, die von der SAVAK gesammelt wurden und die Angeklagten kein Recht auf gesetzliche Vertretung hatten.
Eine Ausnahme bildete Aziz‘ Sohn Mehdi, der im Mai 1972 festgenommen worden ist.
„Sie banden ihn auf eine Liege und erhitzten das, worauf er lag, das Metall erglühte und sie verbrannten seine Haut“, so Aziz, sie zuckt zusammen bei der Erinnerung daran, ihren Sohn so zu sehen. „Sie rissen ihm auch die Fingernägel heraus“.
Die Berichte von Amnesty International bestätigten, dass solche Methoden angewandt wurden.
Nach drei Monaten, fährt Aziz fort, täuschte Mehdi die SAVAK damit, dass er vorgab, er wolle öffentlich aussagen – ein seltenes Vorkommnis – und schwor, sich gegen die MEK auszusprechen, was dem Regime die begehrten Infos geliefert hätte. Er machte dann aber das genaue Gegenteil und enthüllte die grausame Behandlung, der er unterzogen worden war, und bekannte sich dazu, für die ganz Armen im Land aufzustehen, die von schreiender Extravaganz beherrscht würden. Im Publikum waren auch ausländische Journalisten – was die Regierung des Schahs noch mehr erboste. Mehdi wurde daraufhin noch stärker gepeinigt.
„Ich hoffe, Gott wird sich um dich kümmern, und ich bin stolz auf dich“, erinnert sich Aziz an das, was sie sagte, als sie ihren verletzten Sohn zum letzten Mal umarmt.
Später wurde Mehdi von einem Erschießungskommando hingerichtet. Er war da 19.
Aziz‘ Wohnung wird zu einer Art Mittelpunkt für alle Familien, deren Angehörige entweder eingesperrt oder getötet wurden von den Männern des Schahs und man spendete sich Hoffnung und gegenseitigen Trost. Die ganze Familie von Aziz verbrachte unter dem Schah weiterhin die Zeit hinter Gittern, darunter die Matriarchin selber, die von der SAVAK von 1975 bis 1977 im Gefängnis festgehalten wurde – mit mehrfachen Auspeitschungen, die sie erdulden musste, und zeitweise an den Füßen aufgehängt, mit Einzelhaft und mit einem geheimen Prozess, der am Ende zu einer dreijährigen Haft führte. Zugleich kam auch ihr Mann in Haft.
„Der Wärter stellte seinen Stiefel auf meinen Mund und stellte sich auf meinen Nacken und erstickte mich fast“, erinnert sich Aziz und zeigte ihre bloßen Füße, an denen die Narben zu sehen sind. „Ich hörte die Schreie der Leute, denen die Glieder amputiert wurden – besonders Finger. Sie (die Wärter) prügelten und hängten uns an unseren Füßen auf und zwangen uns dann, in der Steppe herumzulaufen, damit die Schwellungen zurückgingen und dann schlugen sie uns erneut überall“.
Ihr geringes Gewicht von 90 Pfund schwand zu 66. Sie und ihre Tochter Fatimah, die mit ihren kleinen Kindern im Gefängnis war, gaben beide an, dass männliche und weibliche Häftlinge das gleiche Maß an Folter erhielten – Frauen wurden zugleich sexuell belästigt und vergewaltigt.
Auch nach der Freilassung sahen sich iranische politische Gefangene einer beständigen Überwachung und Drangsalierung durch die SAVAK gegenüber, die ihre Möglichkeiten, Arbeit zu finden und ihr Leben neu einzurichten, beschränkten und das dehnte sich gleichermaßen auf ihre Angehörigen aus. In Interviews bezeichnete der Schah oft alle inhaftierten politischen Aktivisten als Terroristen und leugnete nicht die Anwendung der Folter in seinem Land. In einem Interview von 1976 mit Le Monde rechtfertigte er die Folter, indem er behauptete, sie hätten diese Methoden von den Europäern übernommen und gelernt, darunter auch psychologische Techniken, um die Wahrheit herauszubekommen.
Unter Ausdehnung der Kultur der Straflosigkeit lobte Präsident Carter bei einem Staatsbesuch im Jahr 1978 – der gleiche, der die Menschenrechte als „die Seele unserer Außenpolitik“ bezeichnete, – die „große Führung“ des Schahs“ auf „einer Insel der Stabilität in einer der Gebiete der Unruhe auf dieser Welt“.
Im Einflussbereich Washingtons war der Schah ein Leuchtturm der Stabilität – ein Führer in einer Region des Tumults, der eine prowestliche Haltung und antikommunistische Politik in Übereinstimmung mit den westlichen Werten der Modernisierung einnehme. Außerdem setzte Pahlevi eine bedeutende Entwicklungspolitik um mit großen Investitionen in die Infrastruktur, Hilfen und Landzuteilungen für die Bauern, einer Gewinnbeteiligung von Industriearbeitern und sehr effektiven Alphabetisierungsprogrammen. Er verstaatlichte die natürlichen Ressourcen des Iran und baute nukleare Einrichtungen auf. Er förderte die wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Zöllen und Vorzugslöhnen, was zu einem wesentlichen Wachstum in der Güterproduktion führte und eine neue Klasse von Industriellen hervorbrachte.
Dennoch gibt Aziz‘ Zeugnis über ihre Folter und Haft einen seltenen Einblick in das, was Aktivisten als eine Ära schwerer Verstöße der Menschenrechte im Iran kennzeichnen, oft überschattet von dem ebenso grausamen Regime, das darauf folgte. Sie erinnert an eine Nation, in der die Freiheit der Rede nicht existierte, was zuletzt dazu führte, dass sie und viele andere Iraner die Aufgabe übernahmen, zur Revolution zu führen und den Schah von seiner Machtposition zu stürzen.
Dennoch zerschlug die Regierung, der es gelang am 11. Februar 1979 die erste Islamische Republik der Welt zu bilden, sehr schnell alle Hoffnungen auf ein besseres Leben. Das religiöse Regime des Ajatollahs Ruhollah Khomeini hoffte, die MEK dazu zu bringen, auf ihre Seite zu treten, aber diese Allianz zerfiel sehr schnell.
Es gab kurz nach dem Umsturz eine Gelegenheit, als Aziz – eine legendäre Figur in den Kreisen von Teheran – in das Haus des neuen Machthabers Khomeini eingeladen wurde. Sie erzählt, dass die Männer um ihn wollten, dass an dem Geheimpolizisten, der ihre Söhne tötete, „Rache geübt“ werde, wogegen sie sich wandte mit dem Argument, dass es nicht ohne einen fairen Prozess geschehen dürfe. Sie sah, wie sich das Gesicht Khomeinis versteinerte und er nichts mehr sagte.
Für Aziz und ihre Familie fing die Arbeit wieder ganz von vorne an. 1980 hat das neue Regime damit angefangen, MEK Mitglieder einzusperren und hinzurichten. Am 8. Februar 1982 wurde ihre 20jährige Tochter Azar, die mit ihrem ersten Kind schwanger war, bei einer Razzia des IRGC mit achtzehn anderen umgebracht. Kurz danach, im April 1982 floh Aziz – die eine tickende Zeitbombe vernahm – in die Türkei und begab sich nach Spanien und dann nach Frankreich, um ihren Aktivismus im Exil fortzusetzen.
Die MEK – die heute hauptsächlich in Frankreich und in Albanien im Exil ist – bleibt die Nummer eins der „terroristischen“ Organisationen auf Teherans Radar, weil sie sich weiterhin dafür einsetzt, den Sturz der herrschenden Regierung Ajatollah Khameneis herbeizuführen. 15 Jahre lang war die MEK beginnend im Jahr 1997 unter der Clinton Administration in den Vereinigten Staaten als Auswärtige Terror Organisation eingestuft. Dieser Schritt wurde als „Geste des guten Willens“, um den Iran zu besänftigen, betrachtet, der im Gegenzug versprach, die libanesische Hisbollah als terroristisch einzustufen. Der Iran folgte jedoch nie diesem Versprechen und die USA hoben die Einstufung der Gruppe, die gegen Teheran eingestellt ist, im Jahr 2012 auf, nachdem ein Gericht das angeordnet hatte.
Die Mitglieder der Organisation bestehen darauf, dass bis zu 100 000 aus ihren Reihen von den Sicherheitskräften Khomeinis hinter Gittern ermordet worden sind, wovon mindestens 30 000 im Sommer 1988 umgebracht wurden auf Grund einer Fatwa des Obersten Führers. Das Regime hat diese Darstellung oft zurückgewiesen und die MEK der Übertreibung bezichtigt entgegen der Bestätigung durch Beobachter unterem anderem von Human Rights Watch, Amnesty International und zuletzt vom Sonderberichterstatter der UNO über den Iran im Juli 2024.
Trotzdem fühlt es sich für Überlebende wie Aziz so an, als ob die internationale Gemeinschaft sich im Grunde gegenüber dem Grauen sowohl unter dem Schah als auch unter der Herrschaft des Ajatollahs blind stellt.
Aber in der Dämmerung ihres Lebens bleibt sie ein unerschütterliches Symbol des Widerstandes mit einer Hoffnung auf einen wirklichen Wandel.
„Khomeini war offensichtlich ein Erbe des Schahs und die Verbrechen, die der Schah hinterließ, blieben unvollendet. Sie sind ein und dasselbe“, bekennt Aziz. „Wenn die Westmächte damit aufhören, diesem Regime zu helfen, damit aufhören, die Augen zu verschließen gegenüber ihren Misshandlungen innerhalb und außerhalb des Landes, dann wird es eine Änderung geben. Die Bewegung zur Befreiung des Iran ist nicht tot. Sie ist stark, sie lebt und wir schreiten voran“.
Hollie McKay ist eine internationale Korrespondentin über Krieg mit dem Fokus auf Menschenrechte und Autorin von ‚Only Cry for the Living: Memos from Inside the ISIS Battlefield’ [Beweint die Lebenden: Memos aus dem Inneren des Schlachtfeldes von IS’, ‚ Afghanistan: The End of the US Footprint and Rise of the Taliban Rule’ [Afghanistan: Das Ende des Fußabdrucks der USA und der Aufstieg der Herrschaft der Taliban] und ‚The Dictator’s Wife’ [Die Frau des Diktators].